Geistig und körperlich fit und gesund bis ins hohe Alter
Der Begriff "Longevity" kann unterschiedliche Bedeutungen haben. Er kann die Fähigkeit von Individuen bezeichnen, das durchschnittliche Lebensalter ihrer jeweiligen Spezies übertreffen zu können. Enger gefasste Definitionen sprechen von Longevity, wenn Menschen 100 Jahre oder älter werden. Weit gefasst Definitionen nutzen den Begriff einfach als Synonym für "Langlebigkeit".
In diesem Beitrag geht es um Longevity im Sinne von "lange gesund leben": Longevity bezeichnet demnach das Streben nach möglichst vielen gesund erlebten Jahren während der individuellen Lebensspanne und insbesondere im Alter.
Der Begriff Longevity hat seinen Ursprung in Nordamerika. Ein englisches Kunstwort, das vom Lateinischen abgeleitet ist und „longus“ für lang sowie „vita“ für Leben beinhaltet.
Die naheliegenden deutschen Übersetzungen „langes Leben“ oder „lange Lebenserwartung“ treffen allerdings nicht, was mit Longevity gemeint ist: Es geht nicht um ein langes Leben als solches, sondern vielmehr darum, ausgehend von einem ganzheitlichen Verständnis der komplexen Wechselwirkungen und Zusammenhänge im menschlichen Körper, möglichst lange gesund zu bleiben.
Eine exakte Definition für Longevity sucht man in den einschlägigen Publikationen vergeblich: Das Grundkonzept ist zwar vergleichsweise einfach zu beschreiben, über die Umsetzung aber besteht keine Einigkeit.
Die durchschnittliche Lebenserwartung des Menschen steigt seit vielen Jahrzehnten an und ein Ende ist vorerst nicht in Sicht. Das gilt natürlich nicht für alle Kulturen in gleichem Maße. Aber auch und gerade in (westlichen) Industrienationen ist Langlebigkeit kein seltenes Phänomen mehr. Oft wird schon von einer „Vergreisung der Gesellschaft“ gesprochen: Es gibt immer mehr Alte und immer weniger Junge.
Dieser demografische Wandel führt nicht nur zu gesellschaftlichen bzw. gesellschaftspolitischen, sondern direkt und indirekt zu gesundheitlichen Problemen. Denn die höhere Lebenserwartung resultiert im Wesentlichen aus zwei Entwicklungen: Einerseits weniger Todesfälle in jungen Jahren – es gibt weniger Kindersterblichkeit, Hunger-, Kriegs- und Verkehrstote – andererseits und vor allem aus der medizinischen Entwicklung.
Dagegen geht die höhere durchschnittliche Lebenserwartung keinesfalls darauf zurück, dass die Menschen heute gesünder leben. Im Gegenteil. Mit der Lebenserwartung steigen rasant auch die Zahlen typischer Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettleibigkeit mit all ihren Folgen, Diabetes, Bluthochdruck etc.
Wer länger lebt, hat länger Zeit, krank zu werden, könnte man sagen. Tatsächlich aber steigt der Anteil der Lebenszeit, in der man krank ist, überproportional an:
„Früher haben die Menschen sehr wenige Jahre gelitten und sind dann gestorben. Heute leiden manche durchaus mehrere Jahrzehnte, und das ist nicht Sinn und Zweck der Übung.“ (Slaven Stekovic, Langlebigkeitsforscher) [1]
Wer heute hierzulande geboren wird, hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von rund 82 Jahren, wird davon aber nur rund 71 Jahre gesund verbringen. Man ist also mittlerweile – im Durchschnitt – 11 Jahre krank.
Man kann zwar nicht sagen, dass es früher besser war. Aber „Sinn und Zweck der Übung“ sollte es sein, die gewonnenen Lebensjahre gesund genießen zu können.
Im Gesundheitssektor konzentriert man sich derzeit noch überwiegend darauf, (Alters-) Krankheiten zu behandeln und das Leben im Alter (also erst dann, wenn man bereits alt ist) zu verlängern. Das kostet zwar eine Menge Geld, aber Investition (Behandlung) und Ertrag (Linderung, Lebenszeit) liegen zeitlich nah beieinander und erscheinen dadurch lohnend.
Vorsorgen, um dadurch Alterskrankheiten im Vorfeld zu vermeiden, wäre deutlich günstiger. Hier liegt der mögliche Ertrag einer Investition aber weit in der ungewissen Zukunft und wird selbst dann meist nicht als Ertrag gesehen, weil man ja nicht weiß, ob man nicht auch ohne Vorsorge gesund geblieben wäre. Dafür Geld lockerzumachen, fällt natürlich schwerer.
Und so setzt sich die Erkenntnis, dass Vorsorge günstig und sinnvoll ist, eigentlich noch zu langsam durch. Es wird immerhin schon verstärkt für Vorsorgeuntersuchungen geworben, Krankenkassen bieten Zuschüsse zu präventiven Sportprogrammen oder Ernährungsberatungen an u.a.m.
Longevity könnte als ganzheitliches Gesundheits- und Alterungskonzept ein Element des Paradigmenwechsels sein und diesem den entscheidenden Schub geben.
Longevity klingt zwar danach, ist aber kein hipper Anti-Aging-Trend. Das Konzept beruht auf Erkenntnissen der Langlebigkeitsforschung. Dieser Begriff fasst die Arbeiten von Wissenschaftlern zahlreicher Fachbereiche von Medizin über Molekularbiologie bis zur Psychologie zusammen, die Altern, Alterungsprozesse, Alterserkrankungen und assoziierte Themen untersuchen, um ein ganzheitliches Verständnis der zugrundeliegenden Zusammenhänge zu ermöglichen.
Longevity basiert zwar auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, doch die abgeleiteten Maßnahmen zielen, bis auf wenige Ausnahmen, auf den Lebensstil. Dabei können durchaus auch typische Anti-Aging-Produkte oder -Trends zum Einsatz kommen – wenn auch mit anderer Zielsetzung. Daher scheinen bei Longevity die Grenzen zwischen Wissenschaft und Lifestyle oft nicht klar gezogen, sondern fließend zu sein.
Bei Anti-Aging-Maßnahmen oder -Anwendungen geht es in der Regel darum, Alterserscheinungen zu reduzieren oder zu verhindern. Ein klassisches Beispiel ist die Anti-Falten-Creme. Ambitioniertere Anti-Aging-Trends haben gar zum Ziel, den Alterungsprozess aufzuhalten oder rückgängig zu machen, um so das Leben im besten Fall zu verlängern.
Longevity dagegen bedeutet zum Beispiel nicht, dass man Maßnahmen ergreift, um jünger auszusehen oder ein höheres Alter zu erreichen. Sondern, dass man in erster Linie versucht, bis ins hohe Alter gesund und fit zu bleiben – wohl wissend, dass auf diese Weise eventuell Hautalterung verlangsamt, Krankheit vermieden oder Lebenszeit gewonnen werden kann.
Dieser Unterschied scheint auf den ersten Blick eher philosophischer Natur zu sein, ist aber tatsächlich grundlegend: Anti-Aging nicht als Ziel, sondern als Bonus.
Das Ziel von Longevity ist: Von der Lebenszeit, die man zur Verfügung hat, sollen möglichst viele Jahre möglichst gesund verbracht werden. Anders ausgedrückt soll die „Gesundheitsspanne“ (fachl. Healthspan) an die „Lebensspanne“ (fachl. Lifespan) angenähert werden.
Wie das erreicht werden kann, ist allerdings nicht unumstritten. Einigkeit herrscht zumindest bei den Grundaussagen: Longevity haben wir weitgehend selbst in der Hand. Basis ist eine gesunde Lebensweise mit ausreichend Bewegung und einer ausgewogenen Ernährung, die den persönlichen Bedürfnissen der jeweiligen Lebensphase entspricht.
Die einfachste „Longevity-Formel“ lautet dementsprechend
Dass das gesund ist, ist zwar schon lange bekannt, hat im Longevity-Kontext aber einen schärferen Fokus: Man setzt, siehe oben, noch mehr und noch individueller auf Vorsorge und Erhaltung statt auf Heilung und Reparatur. Wäre noch zu klären, was ausgewogen, ausreichend oder wenig ist.
Wissenschaftler, die zu Longevity forschen, haben zahlreiche Faktoren identifiziert, die das „länger gesund leben“ beeinflussen können. Je nach Forschungsstand oder Überzeugung können sie mal als mehr, mal als weniger wichtig angesehen werden, zudem sind diese Einflussfaktoren durch komplexe Zusammenhänge miteinander verbunden, überschneiden sich, beeinflussen sich gegenseitig. Auf manche können wir nicht, auf andere direkt und auf wieder andere indirekt selbst Einfluss nehmen. Eine klare Einteilung, Trennung oder Definition nach Wirkung oder Funktion gibt es (noch) nicht.
Die Gene sind ein Faktor, den wir weder direkt noch indirekt selbst beeinflussen können. Und sie spielen sowohl bei der Lebenserwartung als auch beim Longevity Konzept überraschenderweise eine eher untergeordnete Rolle.
Zwar glauben noch immer viele Menschen, aus dem Alter oder dem Gesundheitszustand ihrer Vorfahren schließen zu können, „gute“ oder „schlechte“ Gene zu haben und daher gesund alt zu werden – oder eben nicht. Tatsächlich aber sind die meisten Wissenschaftler heute davon überzeugt, dass die Lebenserwartung nur zu höchstens 25 Prozent von den ererbten Voraussetzungen beeinflusst wird. Manche gehen sogar nur von vier bis sieben Prozent Genetik und über 90 Prozent Lebensstil aus. [1]
Dabei handelt es sich natürlich um Durchschnittswerte. Im Einzelfall, z.B. bei erblichen Erkrankungen, kann sich ein ganz anderes Bild ergeben.
Mit dem Lebenswandel steht und fällt das gesamte Longevity Konzept. Der Lebenswandel ist individuell direkt beeinflussbar und hat eine direkte Wirkung, beeinflusst wiederum seinerseits Bereiche, die wir nicht individuell direkt beeinflussen können und wirkt damit auch indirekt.
Im Mittelpunkt steht eine gesunde, also abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung. Wichtig ist dabei, dass die Ernährung individuell abwechslungsreich und ausgewogen gestaltet werden muss, denn es gibt keine Ernährung, die für alle Menschen gesund ist. Im Zweifel sollte man professionellen Rat, z.B. von einem Ernährungsberater, einholen.
Körperliche Betätigung sollte mit der gesunden Ernährung Hand in Hand gehen – und zwar nicht erst im Alter, sondern spätestens mit Mitte 20, wenn der Körper von der Aufbau- in die Abbauphase übergeht. Ab 30 sollte Muskelaufbautraining betrieben werden: Nur durch den Muskelaufbau kann man dem Muskelabbau entgegenwirken und ihn verlangsamen. Die damit einhergehenden positiven Effekte werden ab einem Alter von 60 oder 70 Jahren stark spürbar. [1]
Behalten Sie Ihr Gewicht im Auge. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten, Bluthochdruck, Diabetes oder auch Arteriosklerose ist bei Übergewicht deutlich erhöht. Achten Sie darauf, im Bereich Ihres Normalgewichts zu bleiben – denn auch Untergewicht kann Krankheitsrisiken erhöhen.
Nutzen sie die Möglichkeiten der medizinischen Vorsorge und Früherkennung. Je eher Krankheiten oder degenerative Prozesse erkannt werden, desto eher kann man dagegen vorgehen. In fortgeschrittenen Stadien ist man zudem meist auch in einem fortgeschrittenen Alter, und der Körper hat im Alter immer weniger Kraft, sich zu wehren.
Achten Sie darauf, ausreichend Zeit zur Regeneration in Ihr Berufs- und Privatleben einzuplanen – und zwar so, dass Körper und Geist davon wirklich profitieren können: Regelmäßige Erholung ist meist sinnvoller als spontane Pausen, wenn schon „nichts mehr geht“. Guter Schlaf ist der wichtigste Aspekt der Regeneration. Wenn Sie die Möglichkeit dazu haben, richten Sie Ihre Schlafenszeiten nach Ihrer „inneren Uhr“. Versuchen Sie zumindest, einen Schlafrhythmus zu finden, der Ihren Bedürfnissen am ehesten entspricht.
Umwelt, Stress und Soziales gehören ebenfalls zu den Longevity Einflussfaktoren, die dem Lebenswandel zugeordnet werden können. Eine Abgrenzung ihres Einflusses bzw. ihrer Beeinflussbarkeit fällt allerdings deutlich schwerer.
Natürlich sollten ungesunde Umwelteinflüsse wie Smog gemieden werden, durch die Zwänge des Alltags ist das aber oft nicht möglich. Was man gegen Stress tun kann, gehört im Grunde zum Einflussfaktor Regeneration, der Stress an sich wird in der Regel aber von außen an uns herangetragen, kaum jemand macht ihn sich freiwillig selbst. Und dass auch ein intaktes Sozialleben für die Gesundheit wichtig ist, bestreitet heute niemand mehr, aber da gehören – in der Regel – mindestens zwei dazu.
Trotzdem: Wir haben unseren Lebenswandel oder unsere Lebensumstände, die maßgeblich beeinflussen, wie lange wir gesund leben, zumindest weitgehend selbst in der Hand.
Diese Longevity Faktoren gehören zu jenen, die wir eher indirekt über den gesunden Lebenswandel positiv beeinflussen können.
Das Immunsystem ist im Normalzustand nicht nur auf das Abwehren von gefährlichen Erregern, sondern auch auf das Ignorieren von ungefährlichen Einflüssen – die sogenannte Immuntoleranz – programmiert. Allergien und Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose, Rheuma, Parodontitis u.v.m. schränken Lebensqualität und Lebenszeit stark ein, sind seit Jahrzehnten auf dem Vormarsch und haben eines gemeinsam: ein überaktives Immunsystem durch eine gestörter Immuntoleranz. Wenn gerade mal wieder Infektionskrankheiten wie die Grippe „die Runde machen“, liest und hört man viel davon, dass man sein Immunsystem stärken solle. Das kann schnell in eine falsche Richtung führen. Denn wichtiger wäre es, den Fokus auf eine normale Funktion des Immunsystems mit normaler Immuntoleranz zu legen.
Akute Entzündungen sind normale Abwehrreaktionen des Körpers bei Verletzungen oder Infekten. Chronische Entzündungen dagegen sind höchst gefährlich. Sie können unter anderem durch den Lebenswandel ausgelöst werden: zum Beispiel durch die Ernährungsweise, chronischen Stress, Schlaf- oder Bewegungsmangel. Chronische Entzündungen lassen sich schwer diagnostizieren, weil sie sich oft lange Zeit unbemerkt als stille Entzündungen ohne Symptome entwickeln und man sich gesund fühlt. Sie werden dann erst entdeckt, wenn es keine anderen Erklärungen für die gesundheitlichen Probleme mehr gibt. Das Risiko für chronische Entzündungen kann durch einen gesunden Lebenswandel stark reduziert werden.
Ob wir lange gesund leben, wird von vielen Faktoren beeinflusst und fast alle beeinflussen wir direkt oder indirekt durch unseren Lebenswandel. Diese Erkenntnis der Langlebigkeitsforschung liegt dem Longevity Konzept zugrunde und daraus können bereits heute wirksame Maßnahmen abgeleitet werden.
Das Konzept und die Einflussfaktoren werden sicher noch exakter definiert, es wird noch tiefere Erkenntnisse und detailliertere Handlungsempfehlungen geben: Die Langlebigkeitsforschung ist das große Thema der nächsten Jahrzehnte und am ganzheitlichen Verständnis der komplexen Wechselwirkungen und Zusammenhänge im menschlichen Körper wird intensiv geforscht.