Herr Schröder, Sie sind Diplom-Oecotrophologe und Mitglied bzw. Sprecher im Vorstand des Deutschen Instituts für Sporternährung. Könnten Sie uns kurz erklären, was ein Oecotrophologe genau ist?
U. Schröder: Als Oecotrophologe hat man Oecotrophologie studiert. Der Begriff steht/stand in Deutschland für das Studium der (Haushalts- und) Ernährungswissenschaften. Ich habe das Studium in Gießen absolviert und meine Diplomarbeit an der Rijksuniversiteit Limburg in Maastricht (Niederlande) geschrieben. Der Begriff "Oecotrophologie" setzt sich aus den griechischen Wörtern "oikos" (Haus, Haushalt) und "trophein" (ernähren) zusammen und bezieht sich auf die wissenschaftliche Untersuchung von Ernährung und Lebensmitteln im Kontext des Haushalts und der Lebensführung. Heute ist der Studiengang als B.Sc. (Bachelor of Science) bzw. M.Sc. (Master of Science) an zahlreichen Universitäten und Hochschulen zu finden und es kann von Anfang an spezialisierter – zum Beispiel nur der rein ernährungswissenschaftliche Teil – studiert werden.
Im Studium der Oecotrophologie waren meine Schwerpunkte Ernährung, Lebensmittelchemie, Lebensmitteltechnologie, Ernährungsphysiologie, Lebensmittelhygiene, Diätetik und verwandte Themen. Diplom-Oecotrophologen haben daher ein breites Wissensspektrum und sind sowohl in den Bereichen Ernährungsberatung, Lebensmittelindustrie, öffentliche Gesundheit oder Forschung zu finden.
Sie sind neben anderen Dingen auch Experte, wenn es um Nahrungsergänzungsmittel geht. In den letzten Jahren sind Supplemente immer beliebter geworden. Wie können Sie sich das erklären?
U. Schröder: Für die gestiegene Beliebtheit von Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) in den letzten Jahren sind aus meiner Sicht zahlreiche Faktoren verantwortlich: Veränderungen im Lebens- und Arbeitsstil, größere Informiertheit über Gesundheitsthemen, Trend zur Individualität und das gesundheitliche Potential von NEM sind Beispiele.
Auch die zunehmend geistige bzw. kognitive Arbeitswelt mit geringerem Energie- aber identischem, wenn nicht gestiegenem Nährstoffbedarf trägt dazu bei. Es gilt heute, mit weniger Kalorien viele Nährstoffe aufzunehmen. Das ist schwierig, zumal das Lebensmittelangebot immer mehr hochverarbeitete Lebensmittel mit geringer Nährstoffdichte aufweist.
Hinzu kommt Zeitmangel bzw. der Trend zum schnellen Lebensmittelverzehr (Fast Food ist explodiert – auch hier finden sich in der Regel Lebensmittel mit geringer Nährstoffdichte). Menschen machen sich über ihre Nährstoffversorgung mehr Gedanken und sind oft nicht mit ausreichend Nährstoffen versorgt. Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente und sekundäre Pflanzenstoffe werden dann über Supplemente ausgeglichen. Zwar wird seit vielen Jahren die „abwechslungsreiche, bedarfsgerechte, vollwertige Ernährung“ von den Fachgesellschaften propagiert, die Realität des Verzehrs sieht aber anders aus. Nahrungsergänzungsmittel werden als einfache Möglichkeit angesehen, entweder ein umfassendes Portfolio möglichst vieler Nährstoffe zur Basisabsicherung – oder bestimmte (Einzel-)Nährstoffe bei bestimmten Indikationen – gezielt zuzuführen.
Auch das allgemeine Gesundheitsbewusstsein ist gestiegen, Fitness und Leistungsfähigkeit stehen hoch im Kurs – im Job und in der Freizeit. Ohne eine ausreichende Nährstoffversorgung ist aber eine dauerhaft hohe Leistungsfähigkeit nicht möglich. Viele suchen daher nach Wegen, ihre Ernährung zu optimieren und Nährstoffdefizite durch NEM zu vermeiden. Das Problem ist dabei oft, dass keine konkreten Laboranalysen und Ernährungsanamnesen als Basis der NEM-Entscheidung vorliegen. Oft wird zu viel von dem, was über die normale Ernährung sowieso schon in ausreichender Menge vorhanden ist, aufgenommen. Aber dort, wo es wirklich hakt, wird nicht substituiert. Ein Beispiel ist das Spurenelement Jod, das aus meiner Sicht ein Schattendasein bei der Substitution führt, aber gerade im Sport von großer Bedeutung ist: Jod geht mit dem Schweiß verloren und die Aufnahme ist insgesamt in den letzten Jahren wieder deutlich rückläufig.
Auch die Sozialen Medien (besonders Influencer) und clevere Marketingstrategien tragen zur noch immer steigenden Nachfragen nach NEM bei. Ein weiterer Grund ist der Wunsch nach immer mehr personalisierter und individualisierter Ernährung. Fitness-Tracker, Smartwatches und Co. dienen heute dazu, das eigene sportive Verhalten zu analysieren und es anderen zugänglich zu machen. Dieser Trend zu individualisierten (Ernährungs-)Konzepten ist auch bei NEM zu finden. Einige Hersteller bieten inzwischen an individuelle Bedürfnisse angepasste Nährstoffmischungen an. Zudem wird versucht, klassische Medikamente durch pflanzliche Alternativen in Form von Nahrungsergänzungsmitteln zu ersetzen. Beispiele sind NSAR (Nicht steroidale Antirheumatika wie Diclo oder Ibu), die bei längerer Einnahme durch Pflanzenextrakte ergänzt und teilweise ersetzt werden können.
Besonders für Sportler*innen sind Nahrungsergänzungsmittel sehr wichtig, wenn es darum geht, die maximale Leistung zu erreichen. Können Sie kurz erklären, welche Rolle Nahrungsergänzungsmittel hierbei spielen?
U. Schröder: Nahrungsergänzungsmittel können für Sportler*innen in unterschiedlichen Bereichen die Leistungsfähigkeit unterstützen. Die Basis ist allerdings immer eine individualisierte, auf die Trainings- und Wettkampfbedingungen, die Trainingsphase und das Leistungsvermögen abgestimmte hochwertige Basisernährung – mit möglichst vielen natürlichen Lebensmitteln mit hoher Nährstoffdichte und einem umfassenden Spektrum an sekundären Pflanzenstoffen.
Oft kann aus Gründen wie Zeitmangel, Unverträglichkeiten, Intoleranzen, Verfügbarkeitsproblemen etc. eine notwendige Makro- und Mikronährstoffaufnahme über Lebensmittel nicht erzielt werden. Hier spielen Nahrungsergänzungsmittel eine entscheidende Rolle. Zu unterscheiden ist dabei zwischen der Substitution – das heißt der Ergänzung eines fehlenden Nährstoffs – und der Supplementation, bei der zusätzlich zur in der Regel ausreichenden Versorgung Substanzen aufgenommen werden, die die Leistungsfähigkeit z. B. des Immunsystems, die Regeneration und weitere Parameter meist situations- und zeitpunktspezifisch unterstützen sollen.
Ergogene (leistungssteigernde) Substanzen dienen gezielt der Effizienz sowohl im Training als auch im Wettkampf. Nahrungsergänzungsmittel kommen dabei für den Bereich der Energieversorgung rund um die sportliche Aktivität - zum Beispiel Kohlenhydrate in Form von Riegeln, Gels und Getränken, Eiweiß in der Regeneration, zum Muskelerhalt und zum Muskelaufbau und sogar bestimmte Fette zum Erzielen sehr hoher Energiemengen bei extremen Energiebedarf - vor.
Spurenelemente, Mineralstoffe und Vitamine in Nahrungsergänzungsmitteln ersetzen häufig die Verluste über Schweiß und Niere und gleichen Nährstoffdefizite aufgrund des regelmäßigen Verzehrs von Energiekonzentraten ohne entsprechende Mikronährstoffe aus. Ergogene Substanzen wie Kreatin oder Nitrat werden gezielt zur Unterstützung eines besseren (smarteren) Trainings, einer höheren Trainingsbelastung, einer schnelleren Regeneration und eines unterstützenden Effekts im Wettkampf eingesetzt. Wichtig ist, dass die Auswahl der Nahrungsergänzungsmittel sowohl auf das individuelle Profil der Athletin und des Athleten als auch auf die Trainingssituation, die Sportart, das Belastungsprofil und sogar die einzelne Trainingseinheit abgestimmt sein muss.
Zu den weiteren Beispielen gehören NEM wie Proteinshakes, Aminosäuren, Kohlenhydrate und Omega-3-Fettsäuren, die dazu beitragen können, den erhöhten Bedarf beim Sport an diesen Makro- und Mikronährstoffen zu decken. Proteine, insbesondere Molkeneiweiß, wird oft verwendet, um die Muskelregeneration und die Muskelproteinsynthese nach intensivem (Kraft-)Training zu unterstützen. Ausreichend Eiweiß ist wiederum für die Reparatur und den Aufbau von Muskelgewebe entscheidend. Elektrolytpräparate können dazu beitragen, den Elektrolythaushalt zu regulieren und Schweiß- sowie renale Verluste effektiv auszugleichen.
Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Nahrungsergänzungsmittel niemals eine ausgewogene Ernährung ersetzen können. Die Grundlage für optimale sportliche Leistung bleibt eine gut geplante und ausgewogene Ernährung. Daher ist vor der Einnahme ein Check der individuellen Bedürfnisse vorzunehmen, auch um sicherzustellen, dass die Ergänzungen effektiv und sicher sind.
Das Deutsche Institut für Sporternährung e.V. (DISE) vergibt auch das DISE-Empfehlersiegel. Wie wichtig sind solche Siegel, wenn es um Vertrauen und den Käuferschutz geht?
U. Schröder: Siegel und Zertifikate auf Lebensmitteln sollen Verbraucher*innen klare Informationen über bestimmte Eigenschaften oder Qualitätsstandards der Lebensmittel bieten. Gütesiegel werden von Verbraucher*innen überwiegend positiv gesehen. Sie können dabei helfen, Informationen über die Herkunft, Produktionsmethoden und Qualitätsstandards von Lebensmitteln zu kommunizieren. Wenn Verbraucher*innen bestimmten Siegeln vertrauen und diese als verlässliche Indikatoren für bestimmte Merkmale betrachten, können sie ihre Kaufentscheidungen darauf basieren.
Für mehr als 70 Prozent sind Prüf- und Gütesiegel auf Lebensmitteln eine gute Orientierungshilfe und mehr als die Hälfte halten diese für nützlich für ihre Kaufentscheidungen. Das DiSE-Empfehlersiegel des Deutschen Instituts für Sporternährung e.V., Bad Nauheim, stärkt das Vertrauen von Sportler*innen und von Verbraucher*innen in das jeweilige Produkt.
Das DiSE-Empfehlersiegel trägt daher zur sinnvollen Differenzierung eines Produktes bei. Es kommuniziert einen potentiellen Zusatznutzen, den Verbraucher*innen durch den Einsatz des Produkts erwarten dürfen. Eine auf dem Medical Campus Peil durchgeführte Studie oder eine wissenschaftliche Literaturausarbeitung mit entsprechend positiven Ergebnissen ist Voraussetzung für die Vergabe des DiSE-Empfehlersiegels.
Um noch einmal auf den Aspekt des Sportes einzugehen: Gibt es bestimmte Nahrungsergänzungsmittel, mit denen Sie bei Sportler*innen besonders gute Erfahrungen gemacht haben und die Sie empfehlen würden?
U. Schröder: Das DiSE e.V. hat in mehr als 30 Jahren Sportlerbetreuung Erfahrung mit sehr vielen Nahrungsergänzungsmitteln sammeln können. Je nach Sportart, Trainings- und Wettkampfsituation, der Zielsetzung der Einnahme sowie individuellen Bedürfnissen sind die unterschiedlichsten Nahrungsergänzungsmittel aus meiner Sicht hilfreich gewesen – beziehungsweise sind es noch immer. Für die Ergänzung der Basisernährung haben sich Vitalkomplexe aus Obst und Gemüse bewährt, die die Versorgung mit sekundären Pflanzenstoffen sicherstellen. Zur Unterstützung des Immunsystems – besonders in spezifischen Situationen –, hat sich organisch gebundenes Zink (Zink-Aspartat) in magensaftresistenten Kapseln bewährt (Zink trägt zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei).
Eine ganzjährig optimale Vitamin D-Versorgung ist ohne die zumindest temporäre Aufnahme von Vitamin D-Präparaten nicht zu realisieren. Hier verwenden wir die Kombination aus hochdosiertem Vitamin D3 und K2 in öligen Kapseln.
Kreatin kann die Leistungsfähigkeit in vielen Sportarten wie im Spielsport, im Krafttraining, bei Sportarten im Fitnessbereich usw. aus meiner Sicht sinnvoll unterstützen und wird darum regelmäßig eingesetzt. Zur Unterstützung der Darmmikrobiota setzen wir routinemäßig auf hochkonzentrierte, hochdosierte und mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Bakterien ausgestatteten Variante von Probiotika. Im Einzelfall halte ich auch die Verwendung von Präbiotika als lösliche Ballaststoffquelle gerade während des Sports für sinnvoll.
Eine besondere Rolle nimmt das Hydrogencarbonat ein, das in der Basisernährung über hydrogencarbonatreiche Mineralwässer gezielt zur Stabilisierung des körpereigenen Hydrogencarbonat-Puffers eingesetzt werden kann.
Im leistungsorientierten Sport haben sich zudem spezifische Enzymhefe-Zellpräparate bewährt, die zum Beispiel vom Deutschen Ruderverband verwendet werden.
Sie sind neben Ihrer Tätigkeit auch Mitglied im Vorstand beim DiSE. Was bedeutet diese Position für Sie und wieso haben Sie sich entschieden, diesen Karriereweg zu gehen?
U. Schröder: Bei meiner Arbeit im DiSE e.V. ist es mir möglich, sowohl direkt mit Sportler*innen im Ernährungs-Coaching zu arbeiten, als auch Fort- und Weiterbildungen für Ernährungsfachkräfte, Mediziner*innen und Trainer*innen sowie Lehraufträge an unterschiedlichen Hochschulen und Universitäten durchzuführen und wahrzunehmen. Durch die Arbeit im Vorstand kann ich die Ausrichtung des DiSE e.V. mitbestimmen und die Vergabe des DiSE e.V. Empfehler-Siegels maßgeblich mitbetreuen.
Besonderes Interesse liegt dabei in der Umsetzung der wissenschaftlich und evidenzbasiert erhobenen Daten in praxisnahe Ess- und Trinkempfehlungen für große Zielgruppen – gern auch unter Zuhilfenahme sinnvoller, sicherer und wirksamer Nahrungsergänzungsmittel.
Eine der Leistungen als Deutsches Institut für Sporternährung ist außerdem, Ernährungsberatung für Sportler*innen anzubieten. Können Sie kurz und knapp erklären, wie eine Beratung abläuft und welche Nahrungsergänzungsmittel Sie für welche Sportarten empfehlen?
U. Schröder: Das Sporternährungs-Coaching basiert in der Regel auf einer Anamnese aus 7-Tage-Ernährungsprotokoll, Trainingsplan, Labordaten, kurz-, mittel- und langfristigen Trainings- und Leistungszielen sowie einer Evaluation der individuellen Lebensmittel- und Geschmackspräferenzen. Im Erstgespräch werden die Ausgangsdaten besprochen und eine gemeinsame realistische Zielsetzung festgelegt. Die Lebensmittelauswahl wird an die individuellen Gegebenheiten und das Training beziehungsweise den Wettkampf angepasst. Im weiteren Verlauf wird mit Gesprächen – die auch online oder telefonisch erfolgen können –, eine Feinjustierung der Auswahl an Lebensmitteln und NEM an Training, Nährstoffbedarf, Lebensstil etc. vorgenommen. Wir sind dabei auf die gute Zusammenarbeit und Mithilfe der Athletin bzw. des Athleten sowie gegebenenfalls der Eltern, Betreuer und Trainer*innen angewiesen.
Nahrungsergänzungsmittel wie Vitalkomplexe aus Gemüse und Obst verwenden wir für die Basisversorgung, wenn eine regelmäßige Aufnahme von mindestens fünf Portionen Gemüse und Obst pro Tag aus unterschiedlichen Gemüse und Obstsorten nicht sichergestellt ist. Pro- und Präbiotika kommen in Ausdauerdisziplinen – aber auch im Spielsportbereich sowie bei ästhetischen Sportarten – häufig zum Einsatz. Die Gabe von Nährstoffen zur Unterstützung des Immunsystems richtet sich weniger nach der Sportart, sondern vielmehr nach den Trainingsbedingungen (z. B. Trainingslager), der Jahreszeit und der allgemeinen Mikronährstoff-Versorgung der Sportler*innen.
Kreatin verwenden wir in der Regel im Spielsport, in gezielten Krafttrainingsphasen in allen Sportarten – zum Beispiel in der Leichtathletik, im Rudern, Schwimmen etc. –, inzwischen aber auch vermehrt im Ausdauerbereich. Der Einsatz von Vitamin D richtet sich nach den individuellen labordiagnostischen Daten in Abstimmung mit der medizinischen Betreuung. In vielen Fällen setzen wir ein breit aufgestelltes Multivitamin-Multi-Mineralstoffpräparat zur Sicherstellung der basalen Vitamin- und Mineralstoffversorgung ein.