Frau Kauffmann, Sie haben Volkswirtschaften studiert und bereits in jungen Jahren eine erfolgreiche Karriere in der Bankenbranche hingelegt. Heute sind Sie ausgebildete Heilpraktikerin, leiten Ihre eigene Praxis, schreiben Bücher und halten Vorträge in diesem Fachgebiet. Können Sie uns einmal erklären, wie es zu dieser Wendung in Ihrer beruflichen Laufbahn gekommen ist?
Und zusätzlich erfülle ich mir jetzt noch mit über 50 Jahren meinen Kindheitstraum und studiere Medizin, weil ich mich schon von klein auf dafür fasziniere. Da mein Abitur-Notendurchschnitt damals leider nicht für einen Studienplatz gereicht hat, habe ich mich erst einmal für einen anderen Studiengang entschieden. Im Nachhinein bereue ich das auch nicht, denn in den Wirtschaftswissenschaften habe ich die Liebe zu großen Datenmengen und Statistiken entdeckt – und vor allem, wie man den Wald vor lauter Bäumen nicht verliert: Fähigkeiten, die mir heute immer noch helfen, wenn ich mich durch viele Seiten medizinischer Studien durcharbeite.
Nach einigen Jahren im Bankenwesen wollte ich dann doch meinem wirklichen Interesse nachgehen, aber damals – vor 20 Jahren – war ein Zweitstudium in der Medizin in Deutschland nicht möglich. Daher habe ich mich zunächst für eine Heilpraktiker-Ausbildung entschieden. Hinzu kam, dass ich Anfang 30 auch noch schwer erkrankte: Eine weitere Motivation für einen Richtungswechsel in die Medizin.
In Ihrer Vergangenheit haben Sie Hilfe bei Ärzten der klassischen Medizin gesucht, letztlich sind Sie aber erst in der FUNKTIONELLEN MEDIZIN fündig geworden. Können Sie uns erklären, worin sich beide Bereiche unterscheiden?
Naturheilkunde klingt so nach Pflanzen und Homöopathie: Das ist aber gar nicht mein Spezialgebiet. Die klassische Medizin ist großartig in allen Bereichen der Infektiologie, Chirurgie, Anästhesie, Kardiologie und auch in der Geburtshilfe. Da sind in den letzten Jahrzehnten unglaubliche Fortschritte gemacht worden.
Kein normaler Mensch würde heute freiwillig bei schweren bakteriellen Infektionen auf eine Antibiose verzichten – um ein Beispiel zu nennen. Aber bei vielen chronischen Erkrankungen, die in der Regel einen multifaktoriellen Hintergrund haben, ist der therapeutische Ansatz aus meiner Sicht zu wenig ursachenbezogen. Hier sollten beide Bereiche enger zusammenarbeiten.
Sie haben sich aufgrund Ihrer Erfahrungen viel mit den Themen Stress und Burnout beschäftigt. Was sind Ihrer Meinung nach die besten Methoden zur Stressbewältigung und Vermeidung eines Burnouts? Gibt es Nahrungsergänzungsmittel, die Sie in diesen Zeiten zur Unterstützung empfehlen?
Ein Burnout ist immer das Ergebnis eines langfristigen Ungleichgewichts zwischen Anspannung und Entspannung. Wir leben alle in täglichen Rhythmen aus Stress und Entspannung. Zu viel Entspannung ist genauso ungesund wie zu viel Stress.
Das Problem vieler Menschen heute ist, dass sie aus dem täglichen, sogenannten circadianen Rhythmus ausbrechen. Ganz einfach erklärt: Unser Tag hat 24 Stunden; in jedem Zeitabschnitt gibt es Hormone und Neurotransmitter, die uns jeweils unsere An- und Entspannungsphasen vorgeben bzw. uns bei unserem Vorhaben unterstützen. Beispielsweise werden Cortisol und Schilddrüsenhormone in den frühen Morgenstunden ausgeschüttet. Sie geben uns Antrieb und Motivation für den Tagesbeginn. Die meisten Menschen mit gesunder Nebennierenrinden- und Schilddrüsenfunktion fühlen sich daher auch in den Vormittagsstunden aktiv und leistungsstark.
In der Nacht benötigen wir diese beiden Hormone nicht: Wir wollen und sollen schlafen und damit die Regeneration des Körpers auf allen Ebenen ermöglichen. Hier übernehmen die Neurotransmitter Melatonin und GABA: Beide zusammen sorgen für einen guten, erholsamen Schlaf mit allen Schlafzyklen – Leichtschlaf, REM und Tiefschlaf –, die der Körper braucht, um wieder fit in den Tag zu starten.
Bei Menschen mit Burnout sind diese circadianen Rhythmen bereits lange gestört. Daher leiden viele auch an Schlafstörungen. Entsprechend empfehle ich immer zuerst, den Schlaf wieder zu normalisieren. Hierbei können GABA und Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel meiner Erfahrung nach unterstützend sinnvoll sein.
GABA nimmt eine Sonderstellung unter den Neurotransmittern ein: Die Evolution hat uns mit einem körpereigenen Beruhigungsmittel ausgestattet: „Eine Art natürliches Valium“. Kein anderer Neurotransmitter kommt so häufig in unserem Nervensystem vor – etwa 1000-fach häufiger als Noradrenalin und Dopamin. Wenn wir ausreichend GABA haben, werden alle Reize im Gehirn wohldosiert und langsam weitergeleitet; fehlt GABA, leiden wir schnell an einer Reizüberflutung.
Menschen mit Burnout kennen das: Alles wird als zu viel, zu laut und als zu intensiv empfunden. Die Abwehr des Nervensystems liegt brach. Ein GABA-Mangel macht sich auch in der Nacht bemerkbar, in dem ein Durchschlafen plötzlich nicht mehr möglich ist.
Inwiefern beeinflusst die Ernährung den GABA-Spiegel im Körper, und welche Nahrungsmittel empfehlen Sie zur Förderung eines gesunden GABA-Haushalts?
Der Körper benötigt zur Synthese von GABA ausreichende Mengen an Glutamin, etwas NAD+ (kann er selbst aus Tryptophan herstellen), aber auch große Mengen an Zink, Vitamin B6 und Mangan. Die besten Zinkquellen sind Meeresfrüchte, Fisch und Fleisch. In der heutigen vegan-trendigen Zeit messe ich bei meinen Patienten oft erschreckend tiefe Zinkspiegel im Blut. Darunter leidet nicht nur die GABA-Synthese, sondern auch ca. 500 andere wichtige Körperprozesse – darunter vor allem Haut, Haare und das Immunsystem.
Vitamin B6 ist eigentlich gut in allen Nahrungsgruppen vertreten, allerdings sind bestimmte Medikamente – wie beispielsweise die Antibaby-Pille – Vitamin B6-Räuber, so dass ein Vitamin B6-Mangel durchaus vorkommen kann. Glutamin ist wiederum eine wichtige Aminosäure, die oft zu kurz kommt, da der Darm davon große Mengen erst einmal für sich selbst abzweigt. Ohne Glutamin kann die Darmschleimhaut meiner Erfahrung nach nicht regenerieren. Daneben ist auch GABA für den Darm sehr wichtig: Er benötigt GABA für sein eigenes Nervensystem, das u.a. die Peristaltik reguliert.
Personen, die an Darmstörungen wie dem Leaky-Gut-Syndrom leiden, empfehle ich, auf eine ausreichende Glutaminzufuhr zu achten. Denn nur, was der Darm nicht benötigt, gelangt auch ins Blut und wird u.a. zur GABA-Synthese verwendet. Glutamin ist vor allem in Milchprodukten und Hülsenfrüchten enthalten.
Das Spurenelement Mangan kommt darüber hinaus in Getreideprodukten wie Brot, Weizenkeimen, Haferflocken, Hirse und Reis, aber auch in Hülsenfrüchten, Leinsamen, Kakao und Nüssen vor. Zusätzlich liefern grünes Blattgemüse und dunkle Beeren wie Heidelbeeren oder Aroniabeeren Mangan.
Welche naturheilkundlichen Ansätze verwenden Sie in Ihrer Praxis, um die GABA-Produktion zu unterstützen?
Zunächst einmal messe ich den GABA-Spiegel und generell verschaffe ich mir in meiner Praxis bei meinen Patienten und Patientinnen einen Überblick über die Mikronährstoffversorgung durch Laboranalysen. Durch die Substitution fehlender Baustoffe ist es mein Ziel, die körpereigene GABA-Synthese langfristig wiederherzustellen. Das dauert aber oft lange, vor allem, wenn noch andere Baustellen wie ein Leaky-Gut-Syndrom vorhanden sind.
Es gibt aus meiner Sicht gute GABA-Präparate, die bei GABA-Mangel schnell helfen und damit die Zeit bis zur Wiederherstellung der Eigensynthese überbrücken können. Denn ein Mensch im Burnout kann nicht monatelang warten, bis ein gesunder Schlaf-Wach-Rhythmus wieder einsetzt. Das muss möglichst schnell erfolgen.
Was würden Sie Menschen raten, die sich für eine Supplementation von GABA interessieren?
Am besten sollte das geeignete GABA-Präparat und die individuelle Darreichungsform und -menge mit einem guten Therapeuten aus dem Bereich der funktionellen Medizin ausgesucht werden.
Wenn andere Medikamente eingenommen werden, wie z.B. Psychopharmaka, Schlafmittel, Blutdrucksenker oder Anti-Epileptika, muss eine genaue Prüfung einer GABA-Einnahme erfolgen –, um mögliche Neben- oder Wechselwirkungen auszuschließen. Auch in der Schwangerschaft und Stillzeit sollte GABA nicht ohne ärztliche Absprache eingenommen werden.
Ansonsten sind meine persönlichen Erfahrungen mit GABA sehr gut. Ich rate immer, mit einer niedrigen Dosierung anzufangen und sich langsam an die individuell optimale Menge heranzutasten.